In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Ratsuchende völlig aufgelöst in der Kanzlei anrufen und „ganz dringend“ einen Besprechungstermin benötigen. Was ist passiert? Die Ratsuchenden haben von der Staatsanwaltschaft eine Strafantrittsladung - landläufig auch "Stellungsbefehl" genannt -erhalten, mit der sie aufgefordert werden, sich zur Vollstreckung einer Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe innerhalb einer gewissen Frist oder zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) einzufinden. Dies ist natürlich für die meisten Personen und deren Umfeld eine dramatische Situation, denn im Falle einer Inhaftierung wird man aus seinem bisherigen Leben herausgerissen. Die familiären, sozialen und beruflichen Folgen sind oft gravierend.
Nachfolgend wird ein grober Überblick über die wesentlichen rechtlichen Möglichkeiten in einer solchen Situation gegeben:
Bekommt man eine Ladung zum Haftantritt, ist das Strafverfahren i.d.R. bereits rechtskräftig durch ein Urteil des Strafgerichts abgeschlossen. Gegen die „Ursache“ für die Strafantrittsladung, also i.d.R. das Urteil, sieht das Gesetz kein Rechtsmittel mehr vor. Ist auch bereits die Frist für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde abgelaufen, bleibt allenfalls noch ein Wiederaufnahmeverfahren oder eine Menschenrechtsbeschwerde, die in der Praxis aber eher untergeordnete Rollen spielen und nur äußerst selten den gewünschten Erfolg bringen. Nähere Informationen zu der Frage, wie man sich gegen strafgerichtliche Entscheidungen wehren kann, finden Sie hier.
Ist also das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen und eine Anfechtung des Urteils nicht mehr möglich, kann i.d.R. nur im Strafvollstreckungsverfahren versucht werden, einen Haftantritt zu verhindern. Man muss sich jedoch im Klaren darüber sein, dass die rechtlichen Möglichkeiten, jetzt noch einen Haftantritt zu verhindern, sehr beschränkt sind und die Vermeidung des Strafantritts nur in Ausnahmefällen möglich ist.
Bestehen Zweifel über die Auslegung eines (rechtskräftigen) Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe oder werden Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben, kann die Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden, § 458 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO). Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch aber nicht gehemmt, d.h. der Strafantritt wird hierdurch nicht „automatisch“ verhindert. Das Gericht kann jedoch in bestimmten (Ausnahme-) Fällen vorläufig einen Strafaufschub oder eine Strafunterbrechung anordnen, § 458 Abs. 3 StPO.
Zweifel über die Auslegung des Urteils können z.B. bei Widersprüchen zwischen Urteilstenor und -gründen entstehen. Zweifel über die Berechnung der erkannten Strafe können beispielsweise vorliegen, wenn das Urteil keine oder keine klare Bestimmung über Auswirkungen und Umfang der Anrechnung von Untersuchungshaft (U-Haft) oder einer anderen Freiheitsentziehung hat oder wenn hierüber sonst Zweifel bestehen. Zulässige Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung bestehen z.B. bei folgenden Vollstreckungshindernissen:
Solche oder andere Fälle des § 458 Abs. 1 StPO kommen in der Praxis jedoch eher selten vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Strafantritt daher nur im Ausnahmefall zu verhindern.
Unzulässige Einwendungen i.S.d. § 458 Abs. 1 StPO sind all diejenigen, die sich gegen den Bestand und die Rechtmäßigkeit des strafgerichtlichen Erkenntnisses (i.d.R. Urteil oder Strafbefehl) richten.
Eine Möglichkeit, die in der Praxis durchaus häufig vorkommt, ist der sog. Vollstreckungsaufschub. Nach § 456 StPO kann auf Antrag des Verurteilten die Vollstreckung für maximal 4 Monate aufgeschoben werden, sofern durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche, außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden. Auch hier kann also der Haftantritt nicht gänzlich verhindert, sondern allenfalls um 4 Monate hinausgeschoben werden. Allerdings müssen auch triftige Gründe vorgebracht werden; ein Strafaufschub kommt nur in Härtefällen in Betracht. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Haftstrafe i.d.R. zu Nachteilen im Leben des Verurteilten und auch dessen Umfeld führt. Das können neben Problemen im familiären oder sozialen Bereich insbesondere ein Arbeitsplatzverlust oder finanzielle Nachteile sein. Der Gesetzgeber nimmt solche i.d.R. typischen Nachteile als sog. „gewöhnliche Strafübel“ in Kauf. Will man einen Strafaufschub erreichen, müssen Nachteile geltend gemacht werden, die über dieses „gewöhnliche Strafübel“ hinausgehen und die bei einer später erfolgenden Haft vermeidbar wären. Nachteile, die auch noch nach 4 Monaten bestehen würden, rechtfertigen keinen Haftaufschub.
In der Praxis ist in folgenden Beispielfällen Haftaufschub bis zu 4 Monaten gewährt worden:
Lehnt die Vollstreckungsbehörde einen vorübergehenden Strafaufschub ab, kann gegen diese Entscheidung zwar noch ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (nach § 458 Abs. 2 StPO) gestellt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird jedoch hierdurch nicht gehemmt, d.h. der Haftantritt wird hierdurch nicht „automatisch“ verhindert. Das Gericht kann jedoch in bestimmten (Ausnahme-) Fällen nach § 458 Abs. 3 StPO
vorläufig
einen
Strafaufschub
oder eine Strafunterbrechung anordnen, wenn die vorgebrachten Einwendungen Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Strafvollstreckung geben.
Neben diesem Strafaufschub bis zu max. 4 Monaten kann in Ausnahmefällen unter bestimmten engen Voraussetzungen bei einer Vollzugsuntauglichkeit die Freiheitsstrafe für eine bestimmte Zeit aufgeschoben oder unterbrochen werden, sog. Strafausstand (§ 455 StPO). Diese Reglung trägt dem Interesse des Verurteilten an seiner Gesunderhaltung Rechnung und kann z.B. eingreifen, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit (z.B. Demenz) verfällt, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bei ihm wegen anderer Krankheiten zu einer Lebensgefahr führen würde oder wenn sich der Verurteilte sonst in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem die nötige ärztliche Behandlung in der Vollzugsanstalt nicht gewährleistet wäre.
Lehnt die Vollstreckungsbehörde einen Strafausstand ab, kann gegen diese Entscheidung zwar noch ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 458 Abs. 2 StPO gestellt werden. Der Fortgang der
Vollstreckung
wird jedoch
hierdurch nicht gehemmt, d.h. der Strafantritt wird hierdurch nicht „automatisch“ verhindert. Das Gericht kann jedoch in bestimmten (Ausnahme-) Fällen nach § 458 Abs. 3 StPO
vorläufig
einen
Strafaufschub
oder eine Strafunterbrechung
anordnen, wenn die vorgebrachten Einwendungen Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Strafvollstreckung geben.
Die Vollstreckungsbehörde kann in Ausnahmefällen unter bestimmten Voraussetzungen einen zeitweisen Strafaufschub oder eine Strafunterbrechung auch aus Gründen der Vollzugsorganisation gewähren (§ 455a StPO). Gründe, die in der Person des Verurteilten liegen, rechtfertigen den Strafausstand nicht. Vielmehr fallen hierunter beispielsweise Fälle, in denen etwa Justizvollzugsanstalten überbelegt sind, wenn Platz für Gefangene schwerer Kriminalität geschaffen werden muss oder eine Strafvollstreckung in Anstalten etwa wegen Bränden, Baufälligkeit, Katastrophen, Seuchen oder Unglücksfällen unmöglich ist.
Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird. Die Strafvollstreckungsbehörde kann ganz oder teilweise von der Vollstreckung absehen, d.h. auch schon vor Beginn oder in Unterbrechung der Vollstreckung. Dass ein Verurteilter aber die Strafe erst gar nicht antreten muss, ist in der Praxis die absolute Ausnahme. In der Regel wird von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe erst dann abgesehen, wenn die Hälfte der Freiheitsstrafe verbüßt ist. Diese Fälle kommen in der Praxis recht häufig vor.
Erhält man eine Ladung zum Antritt einer sog. Ersatzfreiheitsstrafe, hat man i.d.R. eine durch ein Strafgericht verhängte Geldstrafe nicht bezahlt. Häufig hat der Ratsuchende keinerlei Zahlungen geleistet oder vereinbarte Ratenzahlungen nicht eingehalten. Dann kann die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde an die Stelle der uneinbringlichen Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe anordnen. Zwei Tagessätze Geldstrafe entspricht dabei einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Ist man z.B. zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt worden und ist diese Geldstrafe uneinbringlich, tritt an deren Stelle eine Freiheitsstrafe von 40 Tagen.
Will man den Haftantritt wegen einer solchen Ersatzfreiheitsstrafe verhindern, kann man dies i.d.R. „problemlos“ erreichen, wenn die ursprünglich verhängte Geldstrafe gezahlt wird. Sobald und soweit dies geschehen ist, ist die Ersatzfreiheitsstrafe erledigt und man muss sie nicht antreten oder wird aus der Haft entlassen (vgl. § 459e Abs. 4 StPO). Zu vollstrecken ist nämlich immer nur die Ersatzfreiheitsstrafe, die dem uneinbringlichen Teil der Geldstrafe entspricht.
Kann der Verurteilte die Geldstrafe nicht zahlen, kommt unter bestimmten Voraussetzungen noch in Betracht, dass ihm die Vollstreckungsbehörde auf dessen Antrag gestattet, die uneinbringliche Geldstrafe durch sog. freie Arbeit zu tilgen. Freie Arbeit ist gemeinnützige - oder vergleichbare (z.B. bei Berufsverbänden erfolgende) - unentgeltliche Tätigkeit. Zur Tilgung eines Tagessatzes der Geldstrafe sind i.d.R. sechs Stunden freie Arbeit zu leisten.
Stellt die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für den Verurteilten eine unbillige Härte dar, kann das Gericht anordnen, dass die Vollstreckung unterbleibt (§ 459 f StPO). Eine solche unbillige Härte liegt aber nur in Ausnahmefällen vor. Es reicht nach der Rechtsprechung nicht aus, dass die Geldstrafe nicht beigetrieben werden kann oder dass der Verurteilte unverschuldet vermögenslos geworden ist und nicht mehr den Unterhalt für sich und seine Familie aufbringen kann. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, aufgrund deren mit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe eine außerhalb des Strafzwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Verurteilten auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Strafe nicht zugemutet werden kann.
In Ausnahmefällen kann unter bestimmten Voraussetzungen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe auch unterbleiben, wenn in demselben oder in mehreren Verfahren Geldstrafe neben Freiheitsstrafe tritt und zum Zwecke der Wiedereingliederung des Verurteilten, also zur Förderung dessen Resozialisierung, die Vollstreckung der Geldstrafe unterbleibt (§§ 459e Abs. 4 i.V.m. 459d StPO).
Schließlich kommt unter engen Voraussetzungen in Betracht, einen Haftantritt ganz oder zumindest zeitweise durch eine Gnadenentscheidung zu verhindern. Hier müssen aber i.d.R. besondere und gewichtige Umstände glaubhaft vorgebracht werden. In der Praxis haben solche Gnadengesuche nur in absoluten Ausnahmefällen Erfolg. Zudem hemmt ein Gnadengesuch grds. auch nicht die Vollstreckung, d.h. der Haftantritt lässt sich grds. durch die bloße Einleitung des i.d.R. recht lange dauernden Gnadenverfahrens nicht verhindern. Nur wenn erhebliche Gnadengründe glaubhaft vorgebracht werden, kann die Gnadenstelle bis zur Gnadenentscheidung in Ausnahmefällen und unter bestimmten Voraussetzungen die Vollstreckung einstellen.
Ist das Urteil (oder andere strafgerichtliche Erkenntnisse) einmal rechtskräftig und die Strafantrittsladung in der Welt, gibt es in der Regel kaum noch Möglichkeiten, den Haftantritt zu verhindern. Eine Ersatzfreiheitsstrafe kann man noch durch Zahlung oder gemeinnützige Arbeit relativ „einfach“ abwenden. Bei einer „normalen“ Freiheitsstrafe geht das aber nicht. In Ausnahmefällen kann der Haftantritt durch einen Strafaufschub max. 4 Monate hinausgezögert werden, wenn dringende – vorübergehende – berufliche oder auch private Gründe vorgebracht und glaubhaft gemacht werden können. Daneben gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen Möglichkeiten, einen Haftantritt zu verhindern.
Viele Ratsuchende melden sich erst spät nach Erhalt der Strafantrittsladung erstmals bei einem Rechtsanwalt. Dann wird es in den meisten Fällen aber zu spät sein. Besser ist es, sich schon vor Rechtskraft des Urteils, also im Straf- und Rechtsmittelverfahren (Berufung/Revision) durch einen kompetenten und erfahrenen Strafverteidiger verteidigen zu lassen. Die Chancen ggf. eine Haftstrafe zu verhindern sind so allemal größer.
Wenn der Ratsuchende aber nun nicht im Ermittlungs-, Haupt- und Rechtsmittelverfahren verteidigt worden ist, oder er – warum auch immer – nicht mehr von seinem bisherigen Verteidiger vertreten werden möchte, sollte er sich zumindest umgehend nach Rechtskraft bei einem neuen Verteidiger melden, damit dieser wenigstens noch ausreichend Zeit hat, etwaige rechtliche Möglichkeiten einer Verhinderung des Haftantritts zu prüfen. Keinesfalls sollte der Mandant einfach „den Kopf in den Sand stecken“ und die Strafantrittsladung ignorieren. Auch sollte er nicht glauben, nur weil nach Erhalt der Strafantrittsladung ein Strafverteidiger beauftragt worden sei, brauche er die Strafe nicht anzutreten. Ignoriert der Verurteilte die Strafantrittsladung und tritt er die Haft nicht „freiwillig“ und fristgemäß an, droht zum einen ein sog. Vollstreckungs-Haftbefehl und zum anderen gefährdet er auch die Möglichkeit einer Verbüßung der Freiheitsstrafe im sog. offenen Vollzug.
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Über den Autor
Grüße aus Dortmund! Mein Name ist Christian Kucera und ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht sowie Ex-Staatsanwalt. Seit über 24 Jahren bin ich in Dortmund und bundesweit als Strafverteidiger tätig.
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