Vorwurf Vergewaltigung - § 177 StGB

Sexualstrafrecht

Vorwurf Vergewaltigung - § 177 StGB

Strafverteidigung durch Rechtsanwalt in Fällen von Vergewaltigung

Von Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht Christian Kucera aus Dortmund, September 18, 2024

Der Vorwurf einer Vergewaltigung gehört sicher mit zu den schwerwiegendsten strafrechtlichen Vorwürfen überhaupt. Hier drohen nicht selten Gefängnisstrafen und die Vernichtung der beruflichen und gesellschaftlichen Existenz.

Erfahren Sie hier mehr zu den wesentlichen Besonderheiten solcher Verfahren und dazu, wie man sich als Beschuldigter verhalten sollte.

Vorwurf Vergewaltigung – Was tun?

In der Regel erhalten Beschuldigte eine polizeiliche Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung oder eine sog. Gefährderansprache und erfahren so erstmals, dass sie wegen eines Sexualdeliktes angezeigt worden sind. In schwerwiegenderen Fällen wird einem der Vorwurf im Rahmen einer Festnahme und nachfolgender Untersuchungshaft eröffnet.

Immer sollten aber die drei wichtigsten Grundregeln dringend beachtet werden:

  • Schweigen!
  • Ruhe bewahren!
  • Sofort einen auf Sexualstrafrecht spezialisierten Verteidiger kontaktieren!

Ein Verteidiger wird in der Regel erst einmal den Vernehmungstermin bei der Polizei absagen, den Ermittlungsbehörden die Verteidigung anzeigen und Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen, um „auf Augenhöhe“ mit den Ermittlungsbehörden oder Gerichten zu kommen. Anschließend wird er die Sache mit Ihnen ausführlich besprechen, die Sach- und Rechtslage prüfen und eine möglichst effektive Verteidigungsstrategie entwerfen, mit der Ihre Rechte und Interessen bestmöglich gewahrt werden.

 

Gesetzliche Grundlagen

Eine Vergewaltigung liegt im Wesentlichen vor bei besonders schweren Fällen sexueller Handlungen gegen den erkennbaren Willen des Opfers. Das Gesetz legt in § 177 Abs. 6 Satz 2 Ziffer 1 StGB fest, dass ein solch besonders schwerer Fall vorliegt, 

„wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung)“.


Wann verjährt eine Vergewaltigung?

Die Verjährungsfristen für sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen nach § 177 StGB betragen zwischen 5 und 20 Jahren. Die „klassische“ Vergewaltigung verjährt nach 20 Jahren. Allerdings beginnen diese Verjährungsfristen frühestens mit Ablauf des 30. Lebensjahres des angeblichen Tatopfers zu laufen (§ 78b Abs. 1 Ziffer 1 StGB). 

 

„Nein heißt Nein“

Im Jahr 2016 wurde der Vergewaltigungsparagraf verschärft. Der Grundgedanke des seitdem geltenden Konzeptes ist, dass jede sexuelle Handlung, die gegen den erkennbaren Willen einer Person erfolgt, strafbar ist. Hierzu wurde unter dem Leitsatz „Nein heißt Nein“ ein Regelungskonzept entwickelt, dass die Strafbarkeit von einer ablehnenden Erklärung einer Person abhängig macht, wobei diese Erklärung ausdrücklich oder auch durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden kann.

Das bedeutet, dass sich nach der aktuellen Gesetzeslage nicht nur derjenige wegen Vergewaltigung strafbar machen kann, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt, sondern auch derjenige, der sich lediglich über den erkennbar entgegengesetzten Willen des Opfers hinwegsetzt. Für diesen entgegengesetzten Willen ist nicht zwingend erforderlich, dass sich das Opfer (körperlich) wehrt. Es reicht, wenn (ausdrücklich) widersprochen oder anderweitig deutlich gemacht wird, dass sexuelle Handlungen unerwünscht sind, also beispielsweise durch Weinen oder abwehrendes Verhalten.

 

Erscheinungsformen der Vergewaltigung in der Praxis

Gemeinhin stellt man sich unter einer „klassischen“ Vergewaltigung den Überfall durch einen völlig Fremden an irgendeiner abgelegenen dunklen Örtlichkeit vor. Natürlich gibt es solche Fälle. Sie stellen in der Praxis aber eher die Ausnahme dar. Die weitaus meisten Vergewaltigungen geschehen aber durch Täter, die dem Opfer bekannt sind und aus dessen näheren Umfeld stammen.


Welche Strafen drohen bei Verurteilung wegen Vergewaltigung?

Bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung drohen in der Regel Freiheitsstrafen von 2 bis 15 Jahren.

In besonders schwerwiegenden Fällen, etwa, wenn bei der Tat Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge mitgeführt oder gar einsetzt werden oder wenn das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder in Todesgefahr gebracht wurde, drohen sogar Freiheitsstrafen von 3 oder sogar von 5 bis 15 Jahren.

Vor allem wegen dieser hohen Strafrahmen sind Vergewaltigungsverfahren für die Beschuldigten besonders belastend.


Aussage gegen Aussage 

Was die Beweislage angeht, gehören Vergewaltigungsverfahren zu den kompliziertesten Verfahren überhaupt.

Das hat oft damit zu tun, dass es nur die Aussage des angeblichen Opfers gibt und der Beschuldigte den Sachverhalt völlig anders darstellt oder schweigt. Andere Zeugen oder sonstige Beweismittel stehen häufig nicht zur Verfügung. Das ist die für Vergewaltigungsverfahren typische Konstellation „Aussage-gegen-Aussage“.

Hier gelten besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung. Gerichte und Ermittlungsbehörden müssen besonders sorgfältig alle relevanten Umstände des Falles erkennen und bewerten. Gelangen sie hierbei zur Überzeugung von der Schuld des Beschuldigten, kann eine Verurteilung erfolgen. Bleiben hingegen berechtigte Zweifel, kann also nicht sicher gesagt werden, wem nun geglaubt werden kann, muss nach dem Grundsatz in dubio pro reo ein Freispruch bzw. eine Verfahrenseinstellung erfolgen. 


Glaubhaftigkeitsbegutachtung – Aussagepsychologische Gutachten

Gerade in Vergewaltigungsfällen ist die Aussage des angeblichen Tatopfers häufig das einzige Beweismittel und deshalb von entscheidender Bedeutung. Nicht selten finden sich in der Person des angeblichen Tatopfers aber Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung, oder sonstige psychische Beeinträchtigungen oder auf eine suggestive Beeinflussung.

In solchen Fällen wird häufig ein aussagepsychologisches Gutachten (auch Glaubwürdigkeitsgutachten genannt) eingeholt. Das Gutachten wird in der Regel von Psychologen oder Psychiatern erstellt, die über fundierte Kenntnisse der Aussagepsychologie und der Methodik der Glaubhaftigkeitsbeurteilung verfügen sollen. Das Ergebnis des Gutachtens fließt in die Beweiswürdigung und Entscheidung der Ermittlungsbehörden bzw. Gerichte ein und hat häufig entscheidende Bedeutung.


Häufiger Freispruch für Angeklagte in Vergewaltigungsprozessen

Deutlich häufiger als in anderen Deliktsgruppen werden Angeklagte in Vergewaltigungsprozessen freigesprochen. Während der Anteil von Freisprüchen an allen Aburteilungen im allgemeinen Strafrecht bei etwa 3 % liegt, liegt die Freispruchquote in Verfahren wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung bei etwa um die 25 %.

Hinzu kommt, dass Gerichte in etwa einem Viertel der Fälle Verfahren bereits einstellen, ohne dass es überhaupt zu einem Urteil kommt. Und schließlich stellen bereits die Staatsanwaltschaften etwa 60 % der Ermittlungsverfahren ein, so dass diese Fälle erst gar nicht bei Gericht landen. 

Vergewaltigungsfälle werden also überdurchschnittlich häufig durch Einstellung oder Freispruch erledigt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Häufig liegt dies aber an der äußerst komplizierten Beweislage („Aussage-gegen-Aussage“). 


Falschbeschuldigung bei Fällen von Vergewaltigung

In Vergewaltigungsfällen kommt es besonders häufig zu Falschbeschuldigungen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es gibt bewusste und unbewusste Falschbelastungen.

Nicht selten erfolgen sie absichtlich, etwa infolge von Trennungsstreitigkeiten („Rosenkrieg“), vor allem wenn es um gemeinsame Kinder und Vermögen geht. Auch Rache für verschmähte Liebe, Herabsetzungen oder sonstige erlittene Nachteile oder Geltungssucht führen häufig zu Falschbeschuldigungen.

Nicht selten sind auch Missverständnisse Ursache für spätere Falschbeschuldigungen.

Falsche Beschuldigungen können aber auch auf sog. Pseudoerinnerungen oder Scheinerinnerungen beruhen. Dieses auch als False-Memory-Syndrome (FMS) bezeichnete Phänomen wurde erst in den letzten Jahrzenten in der aussagepsychologischen Wissenschaft erforscht und beschrieben. Pseudoerinnerungen sind falsche oder verfälschte Erinnerungen an Ereignisse oder Erfahrungen, die entweder nie oder anders stattgefunden haben. Diese falschen Erinnerungen können sich oft sehr real und detailliert anfühlen und sind für die betroffene Person nicht von echten Erinnerungen zu unterscheiden. Pseudoerinnerungen können auf verschiedene Weisen entstehen, beispielsweise durch Suggestion, Fehlinterpretationen, Beeinflussung durch Medien, durch Fantasie oder Tagträume oder durch soziale Interaktion. In der Praxis spielt das Entstehen von unabsichtlichen Scheinerinnerungen in Folge von sog. „Aufdeckungsarbeit“ vor allem im Rahmen von psychotherapeutischen Behandlungen eine große Rolle.


Sonstige Besonderheiten in Vergewaltigungsverfahren

Vergewaltigungsverfahren weisen weitere Besonderheiten auf.

So sind häufig besondere forensische Beweise, wie DNA-Gutachten, auszuwerten.

In der Regel beteiligen sich das angebliche Tatopfer am Strafprozess, vor allem als sog. Nebenkläger(-innen) und machen nicht selten auch vermögensrechtliche Ansprüche geltend (sog. Adhäsionsverfahren).

Je nach Fallkonstellation spielt auch ein sog. Täter-Opfer-Ausgleich  (TOA) eine große Rolle.

Vergewaltigungsfälle erhalten nicht selten erhebliche mediale und öffentliche Aufmerksamkeit, was zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. So können Medienberichte zu Vorverurteilungen und Stigmatisierungen führen, die den fairen Prozess beeinflussen. Hier muss auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten besonders geachtet werden.

Nicht selten werden in Vergewaltigungsverfahren in bestimmten Fallkonstellationen auch die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) geprüft.

Häufig besteht in größeren Vergewaltigungsfällen, die erstinstanzlich beim Landgericht angeklagt werden, nur eine sog. Tatsacheninstanz. Die Frage, ob die Tat nun tatsächlich begangen worden ist oder nicht, wird also - anders als in Verfahren wegen geringfügigerer Vergehen, die erstinstanzlich vor dem Amtsgericht verhandelt werden -, nur einmal geprüft. Im Falle einer Verurteilung kann mit der Revision  in der zweiten Instanz vor dem Bundesgerichtshof (BGH) dann nur noch eine Überprüfung des Urteils auf sog. Rechtsfehler erreicht werden.


Fazit

Vergewaltigungsverfahren gehören, was die Beweislage angeht, zu den kompliziertesten Verfahren überhaupt. Gleichzeitig drohen hohe Strafen und gesellschaftliche Stigmatisierung sowie Vernichtung gesellschaftlicher und beruflicher Existenzen. Viele weitere Besonderheiten erfordern ein hohes Maß an Sensibilität, Fachwissen und Erfahrung sowie Engagement und Durchsetzungsstärke, um die Rechte und Interessen des Beschuldigten bestmöglich zu wahren. Werden Sie also einer Vergewaltigung beschuldigt, sollten Sie gegenüber den Ermittlungsbehörden oder Gerichten schweigen und umgehend einen auf das Sexualstrafrecht spezialisierten Verteidiger konsultieren.

Portrait Christian Kucera

Über den Autor

Grüße aus Dortmund! Mein Name ist Christian Kucera und ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht sowie Ex-Staatsanwalt. Seit über 24 Jahren bin ich in Dortmund und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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